
4.2 Variabilitäten und Prozesssteuerung 225
wird. Abhilfe kann hier eine Kombination mit Ventilteilhüben schaffen, die zu
höheren Strömungsgeschwindigkeiten führen. Der damit verbundene, leichte An-
stieg der Strömungsverluste wird durch die Verbesserungen im Verbrennungsab-
lauf überkompensiert. Durch das vergleichsweise frühe Schließen des Einlassven-
tils ist bei Beginn der Verbrennung nur eine sehr geringe Ladungsbewegung vor-
handen. Das führt grundsätzlich zu einer schlechten Gemischbildung insbesondere
bei direkteinspritzenden Ottomotoren und erfordert aufgrund der erschwerten
Entflammbarkeit frühe Zündwinkel bzw. höhere Zündenergien. Zur Steigerung
der Ladungsbewegung haben sich Maskierungen im Ventilsitzbereich bewährt, die
beim Einströmen des Frischgases Turbulenzen erzeugen.
Bei aufgeladenen Motoren wird das Verfahren FES auch als Miller-Verfahren
bezeichnet, vergleiche Abschn. 4.1.1. Hierbei sind jedoch höhere Druckverhältnis-
se und damit höhere Verdichterdrehzahlen erforderlich, damit die erforderliche
Ladungsmasse innerhalb der kurzen Einlassventil-Öffnungsdauer eingebracht
werden kann. Die Verdichterarbeit wird daher zum Teil in den vorgelagerten Ver-
dichter verlagert. Der dadurch gesteigerte Leistungsbedarf des Verdichters muss
von der Turbine bereitgestellt werden. Das ist möglich, wenn das Abgas ansonsten
teilweise über ein Wastegate an der Turbine vorbeigeführt wird. Der erhöhte Leis-
tungsbedarf wirkt sich jedoch u.U. nachteilig auf das Ansprechverhalten des Tur-
boladers aus, wenn ein größerer ATL eingesetzt werden muss.
Während die Gastemperaturen durch die frühe Expansion vergleichsweise nied-
rig sind, werden durch das Miller-Verfahren infolge des hohen Ladedruckes – je
nach Lage der Steuerzeit ES – höhere oder niedrigere Zylinderspitzendrücke er-
zeugt. Bei hohen Drehzahlen ist zur Darstellung dieser hohen Ladedrücke folglich
der Verzicht auf ein Abblasen eines Abgasteilstroms möglich. Durch das reduzier-
te Temperaturniveau können die Klopfneigung verringert, das geometrische Ver-
dichtungsverhältnis erhöht und damit höhere Mitteldrücke realisiert werden. In
Verbindung mit den realisierbaren hohen Zylinderspitzendrücken werden höhere
Wirkungsgrade erreicht. Da zudem die Abgastemperatur ebenfalls niedriger aus-
fällt, sinkt der bei hoher Last und Drehzahl erforderliche Anfettungsbedarf, sodass
zusätzliche Kraftstoffverbrauchssenkungen möglich sind [FRI02].
Beim Verfahren SES – auch bezeichnet als Reverse-Miller-Cycle – schließt das
Einlassventil erst während des Kompressionshubes. Je niedriger der Lastpunkt,
desto später schließt das Einlassventil. Die überschüssige Zylinderladung wird
somit in den Ansaugkanal zurückgeschoben und passiert das Einlassventil zwei-
mal, was mit erhöhten Strömungsverlusten verbunden ist, ohne dass dies für eine
intensivere Gemischbildung genutzt werden kann. Bei aufgeladenen Motoren
muss der Kolben zudem gegen den erhöhten Saugrohrdruck arbeiten, sodass die
charakteristische positive Ladungswechselschleife deutlich reduziert wird und zu
Wirkungsgradnachteilen führt. Im Bereich sehr niedriger Teillasten kann die Steu-
erzeit ES später als der wirkungsgradoptimale Zündwinkel liegen, sodass es auf-
grund der nötigen Spätzündung zu Verbrauchseinbußen kommt. Wie beim Last-
steuerverfahren FES ist auch beim Verfahren SES das effektive Verdichtungsver-
hältnis reduziert, da die eigentliche Kompression erst deutlich nach dem unteren
Totpunkt beginnt. Bei aufgeladenen Ottomotoren kann damit der Anfettungsbe-
darf im Nennleistungsbereich zum thermischen Bauteilschutz deutlich reduziert